Vogel Strauß und Österreichs Sicherheit
Gastkommentar
Bereits seit dem Altertum wird dem Vogel Strauß nachgesagt, dass er bei drohender Gefahr den Kopf in den Sand steckt.
Von Vogel-Strauß-Politik spricht man daher, wenn politische Entscheidungsträger die Augen vor einer Gefahr verschließen oder unangenehme Realitäten ignorieren. In Wahrheit legt sich der brütende Strauß bei nahender Gefahr flach auf den Boden und streckt dabei Kopf und Hals geradeaus. Das mag zur Legende des Kopf-in-den-Sand-Steckens geführt haben.
Auch wenn also diese Redewendung seinem Namensgeber gegenüber immer unfair war, kommt einem das Bild des in den Sand gesteckten Kopfes unweigerlich beim Anblick der österreichischen Sicherheitspolitik in den Sinn. Seit dem brutalen Angriffskrieg, den Putins Russland gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, verschieben sich die sicherheitspolitischen Koordinaten in Europa.
Finnland, das schon einmal im Winter 1939/40 Opfer eines sowjetischen Angriffskrieges war, hat einem Beitritt zur NATO mit breiter parlamentarischer Mehrheit zugestimmt. Schweden hat nach einem Meinungsumschwung der regierenden Sozialdemokraten einen Beitrittsantrag unterschrieben. Selbst Dänemark, das sich beim Maastricht-Vertrag ein Opt-out zusichern ließ, vollzieht eine Kehrtwende und lässt im Juni per Volksabstimmung entscheiden, ob es nun doch an der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik teilnehmen soll.
Europa scheint seit dem 24. Februar seine Schlussfolgerungen aus der neuen sicherheitspolitischen Lage zu ziehen. Ganz Europa? Nein. Allein in Österreich scheint die Sicherheitspolitik noch immer nicht in der Wirklichkeit angekommen zu sein. Während der deutsche Wirtschaftsminister Habeck mit Vehemenz daran arbeitet, die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl zu beenden, sind in Österreich keine vergleichbaren Bemühungen erkennbar. Während in Deutschland ein 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr geschnürt wird, gibt es in Österreichs Regierungskoalition keine Einigung, weder über die Zahlen noch über die Zielrichtung für das Bundesheer. Dafür steht schon fest, dass das Aussetzen der Milizübungen, ein Wahlkampfgag aus dem Jahr 2006, nicht beendet wird. Somit werden weiterhin Grundwehrdiener sechs Monate lang ausgebildet, um sie dann ohne Verwendung wieder nach Hause zu schicken.
Leider ist festzustellen, dass Österreichs Sicherheitspolitik außer bloßer Rhetorik keine Lehren aus dem Überfall auf die Ukraine gezogen hat. Weiter den Kopf in den Sand zu stecken und die Ereignisse rundherum zu ignorieren, ist keine Option. Wie in der Vergangenheit zu hoffen, dass nichts passiert oder im Notfall andere EU-Staaten die Verteidigung übernehmen, ist auch keine Option – weder praktisch noch moralisch. Die Tragödie, die sich vor unseren Augen in der Ukraine abspielt, sollte zeigen, dass es Zeit zum Umdenken ist. Zeit zu erkennen, dass der vorderste Rand der Verteidigung für Frieden und Freiheit in Europa derzeit im Donbas ist. Zeit, sich nicht länger hinter der rechtlich und praktisch immer bedeutungsloser gewordenen Neutralität zu verstecken und diese neu zu definieren. Zeit für eine engagierte, solidarische Teilnahme Österreichs an der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Gastkommentar veröffentlicht in Oberösterreichische Nachrichten am 23.5.2022