Sky Shield und das "neutrale" Österreich: Nur eine Illusion

Gastkommentar

Die Ansage, man könne innerhalb des europäischen Luft-Schutzschirms eigenständig agieren, ist eine Nebelkerze.

Österreich soll also der Sky-Shield-Initiative beitreten. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde unterschrieben. Im gleichen Atemzug betonen Bundeskanzler und Verteidigungsministerin, dass dies mit der österreichischen Neutralität natürlich vereinbar wäre. Doch ist das so?

Beginnen wir von vorne. Sky Shield ist ein europäischer Schutzschirm gegen militärische Bedrohungen aus der Luft: Ballistische Raketen, Marschflugkörper, Drohnen. Initiiert wurde er von Deutschland, als Reaktion auf Putins Angriffskrieg. 15 NATO-Staaten unterschrieben die Initiative im Oktober 2022 im NATO-Hauptquartier in Brüssel. Es ist somit ein NATO-Projekt, keines der EU.

Unstrittig ist die Sinnhaftigkeit einer gemeinsamen Luftverteidigung. Moderne Luftabwehrsysteme, die die gesamte Bandbreite möglicher Bedrohungen abdecken können, sind sehr teuer. Kleine Staaten wie Österreich stoßen zudem an geografische Grenzen. Als Einzelgänger müsste man in der Lage sein, sowohl die Erkennung der Bedrohung als auch deren Bekämpfung ausschließlich von und über dem eigenen Territorium durchzuführen. Das ist angesichts der österreichischen Topografie kaum möglich.

Doch wie verträgt sich das mit der Neutralität? Die Bundesregierung meinte dazu, dass Österreich wegen seiner Neutralität zur Verteidigung des Luftraums verpflichtet wäre. Das ist richtig, beantwortet aber nicht die Frage der neutralitätsrechtlichen Zulässigkeit einer Teilnahme an Sky Shield.

Weiters wird eine feine Unterscheidung zwischen dem Aufspüren von Bedrohungen und deren Bekämpfung vorgenommen. Die Lokalisierung des Angriffs, so wird behauptet, könne grenzüberschreitend erfolgen. Die Bekämpfung des Ziels sei dann die souveräne Entscheidung Österreichs. Eine solche Differenzierung ist jedoch realitätsfremd. Sowohl Erkennen als auch Bekämpfen eines Ziels sind militärische Handlungen. Aufklärung, Identifikation und Zielansprache ermöglichen erst den Abschuss einer Rakete. Militärisch handelt nicht nur derjenige, der final auf den Knopf drückt. Zudem kann eine gemeinsame Luftabwehr nur effektiv sein, wenn der Luftraum nach einem einheitlichen Prozedere überwacht, ein Angriff identifiziert und schließlich entschieden wird, welches Abwehrsystem wo zum Einsatz kommt. Da ist kein Spielraum für nationale Alleingänge eines „Neutralen“. Die Vorstellung, Österreich könnte innerhalb von Sky Shield sein eigenes, unabhängiges Kommando haben, ist eine Illusion.

Zugegeben, eine Absichtserklärung ist noch unproblematisch. Der gemeinsame Ankauf von Luftabwehrsystemen ist neutralitätsrechtlich genauso unbedenklich. Allerdings ist jetzt schon klar, dass Sky Shield keine Einkaufsgemeinschaft bleiben wird. Sobald die gemeinsame Luftabwehr operativ umgesetzt ist, würde Österreich zu militärischen Maßnahmen verpflichtet sein, die nicht Teil der EU-Verteidigungspolitik sind, über die autonome Selbstverteidigung hinausgehen und daher neutralitätsrechtlich verboten sind. Die Behauptung der Bundesregierung, Österreich könne im Rahmen von Sky Shield neutral agieren, ist nichts weiter als eine Nebelkerze. Und es ist wieder mal eine vertane Chance, über die im 21. Jahrhundert notwendige Sicherheitspolitik eine ehrliche Debatte zu führen.

Gastkommentar veröffentlicht im Kurier am 14.7.2023

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